Glit­zern­de Stern­chen, rosa Hin­ter­grund, Dis­ney Chan­nel Musik und ein ein­deu­ti­ges Geständ­nis in Baby­blau: „I love eating pus­sy. And, appar­ent­ly, I am good at it… Or so says my girlfriend.“

Kurz dar­auf ertönt Klat­schen, noch mehr Block­far­ben in Gelb, Rosa und Blau. Wir befin­den uns schein­bar in einer Talk­show, Top Women in Busi­ness. Feli­cia (Ana­sta­sia Ben­goe­chea), die Grün­de­rin der Platt­form Try​my​boy​fri​end​.com, erzählt ihre erfolg­rei­che Geschäfts­idee: welt­weit die sexu­el­len Res­sour­cen sei­nes Part­ners mit ande­ren Frau­en für Geld tei­len – wie Airbnb, die soge­nann­te col­la­bo­ra­ti­ve oder sha­ring eco­no­my, nur mit sei­nem Sexu­al­part­ner anstatt des Wohnraumes.

Feli­cia ver­rät ihr Geschäfts­mo­dell (© Eri­ka Lust, xcon­fes­si­ons)

Ist das tat­säch­lich der Beginn eines ech­ten Por­no? Ganz ohne Stroh, Sili­kon­brüs­te und mus­ku­lö­se Män­ner, deren Gesich­ter wir sel­ten von vor­ne sehen? Die ers­te Sze­ne, die wir im Kurz­film Try my boy­fri­end der Film­rei­he XCon­fes­si­ons von Eri­ka Lust sehen, zeigt eine selbst­be­wuss­te rot­haa­ri­ge Geschäfts­frau, die uns Pro­fit durch Tei­len erklärt.

I love eating pus­sy. And, appar­ent­ly, I am good at it… Or so says my girl­fri­end. XCon­fes­si­ons

In Eri­ka Lusts Fil­men spie­len unkon­ven­tio­nell-schö­ne, gepierc­te und täto­wier­te Men­schen die Haupt­rol­len. Sie spie­len Figu­ren mit quee­rer Sex­ein­stel­lung, die sich für Kunst, Kul­tur und Lite­ra­tur inter­es­sie­ren, sie sind kos­mo­po­lit und offen. Die Dreh­bü­cher dazu basie­ren auf anony­men Tex­ten von Por­no­gra­phie-Inter­es­sier­ten, die an Eri­ka Lust geschickt wer­den – „by you and Eri­ka Lust“, heißt der Slogan.

Fem­porn?

Das klingt nicht nach Main­stream­porn, der für vie­le Men­schen kei­nen künst­le­ri­schen oder intel­lek­tu­el­len Mehr­wert besitzt. In femi­nis­ti­schen Krei­sen gilt die­ser außer­dem als sexis­tisch, ras­sis­tisch, kli­schee­be­haf­tet und hete­ro-nor­ma­tiv. Meist liegt der Fokus auf dem männ­li­chen Orgas­mus und der kör­per­li­chen Leis­tungs­schau, die bei­de die Frau zum pas­si­ven Ram­mel-Objekt redu­zie­ren. Des­halb hat es sich die femi­nis­ti­sche Por­no­gra­phie zur Auf­ga­be gemacht, neue Dar­stel­lungs­for­men von Sexua­li­tät zu erkun­den, und hier­bei auf Film­kunst zu set­zen. „Sex-posi­tiv“ heisst das Schlag­wort. Ein Haupt­merk­mal der sex-posi­ti­ven Bestim­mung ist die sexu­el­le Frei­heit und die­se ist nicht weni­ger als ein Bestand­teil der all­ge­mei­nen Frei­heit des Individuums.

Es gilt, all die Ste­reo­ty­pen hin­ter sich zu las­sen, die sich auf Sei­ten wie you​porn​.com zuhauf fin­den und sich in immer­glei­chen Geschicht(ch)en, Dia­lo­gen, Schau­plät­zen, Requi­si­ten, Kör­per­nor­men und Sexu­al­tech­ni­ken wie­der­ho­len. Zu über­win­den sind genau­so die deso­la­ten Pro­duk­ti­ons­be­din­gun­gen wie die gesell­schaft­li­chen Stig­ma­ta einer Arbeit in der Pornoindustrie.

Das Label PorYes hat Lau­ra Méritt,
pro­mo­vier­te Kom­mu­ni­ka­ti­ons-
wis­sen­schaft­le­rin, Lach­for­sche­rin,
femi­nis­ti­sche Lin­gu­is­tin und Akti­vis­tin
ins Leben gerufen.

Die Ber­li­ner sex-posi­ti­ve Initia­ti­ve PorYes, hat ein femi­nis­ti­sches Güte­sie­gel für por­no­gra­phi­sche Fil­me mit Kri­te­ri­en­ka­ta­log erstellt. Viel­falt wird hono­riert: der Per­so­nen, des Alters, des Geschlechts, der Kör­per­ty­pen, der sexu­el­len Ori­en­tie­rung und des eth­ni­schen Hin­ter­grun­des. Qua­li­tät wird eben­so geprüft: Ein­stel­lun­gen, Per­spek­ti­ven, Licht und Musik. Aus­schlag­ge­bend ist letzt­lich eine respekt­vol­le Dar­stel­lung weib­li­cher Lust und ein­ver­nehm­li­chen Sex‘.

Lust, Eri­ka Lust.

Vie­le die­ser Kri­te­ri­en fin­den sich bei der schwe­di­schen Buch­au­to­rin und Fil­me­ma­che­rin Eri­ka Lust umge­setzt. Sie inter­pre­tiert Ero­tik und expli­zi­te Sex­sze­nen nicht nur aus femi­nis­ti­scher Per­spek­ti­ve, son­dern auch mit viel Stil, Humor und Intel­li­genz. Die Erzähl­stra­te­gie in Try my boy­fri­end beginnt semi­do­ku­men­ta­risch mit Feli­ci­as Erzähl­stim­me aus dem Off. In Rück­blen­den wird von einem ver­gan­ge­nen Abend mit ihren Freun­din­nen erzählt. Die Frau­en­cli­que befin­det sich Wein-trin­kend in der Küche, das Sze­nen­bild und die Kos­tü­me der Frau­en sind ein kunst­vol­les Far­ben­spiel und erin­nern an Wes Ander­sons oder Pedro Almo­dó­vars Filmästhetik.

I want to try him. If he is so good, he should be shared for the joy of more women.“ Film­stills aus Try my Boy­fri­end (© Eri­ka Lust)

Auch hier wer­den die ein­zel­nen Cha­rak­te­re durch den Kunst­griff der Far­be her­vor­ge­ho­ben. Feli­cia prahlt von den unglaub­li­chen Cunnilingus–Fähigkeiten ihres Freun­des Tim (Jay Smooth) und löst damit eine pro­vo­zie­ren­de Reak­ti­on bei ihrer Freun­din Lina (Bem­be) aus: „I want to try him. If he is so good, he should be shared for the joy of more women.“ Die­se Idee löst bei Feli­cia eine Flut an Gedan­ken aus: Wer? Wo? Wie? Und für wie viel Geld? Den­noch zögert sie zunächst. Als eine ihrer Freun­din­nen ihr eine Wet­te anbie­tet („I bet you have a big mouth. In fact, you´ll never share him.“), lässt sich auf die­se ein und erhält von Nata­lia (Fer­ra­ri) als Wett­ge­winn 200 Dol­lar für deren Spaß mit Tim.

Eri­ka Lust (2012)

Lust­vol­le Ironie

Eri­ka Lust spielt mit den Kli­schees, auch des­halb liegt Tim schla­fend im Bett und wird von sei­ner Freun­din mit der Auf­for­de­rung geweckt, die Freun­din oral zu befrie­di­gen. Nach anfäng­li­chem Miss­mut fin­det er schnell Gefal­len dar­an und über­zeugt mit sei­nen Qua­li­tä­ten. Und so nimmt auch der Film an Rhyth­mus, Dyna­mik, schnel­len Schnit­ten und Pop-Art zu. Elek­tro­ni­sche Tanz­mu­sik wird ein­ge­spielt, Frau­en hüp­fen ver­gnügt in bun­ten Strümp­fen umher und es wird von einer wach­sen­den Com­mu­ni­ty gespro­chen. Tim und Feli­cia sind glück­lich, weil er sei­ne über­schüs­si­ge Sex­ener­gie los­wer­den kann und sie, weil sie damit 1000 Dol­lar Gewinn pro Woche macht. Immer noch geht es mehr um Pro­fit und eine erfolg­rei­che Geschäfts­idee als um Sex. Es gibt vie­le schnel­le Schnit­te und Far­ben, dadurch wird auch nur kurz ange­deu­tet, wie Tim die Frau­en glück­lich macht. Die­se aber krei­schen und stöh­nen und wer­fen ihr Haar vor Lust in die Luft.

Da Tim irgend­wann müde von der Arbeit wird, erhält Feli­cia ihren Eure­ka-Moment: Sie kre­iert eine Platt­form, wo alle Frau­en welt­weit ihren Part­ner tei­len kön­nen. Sowohl die Idee als auch die auf­ruf­ba­re Dum­my-Web­sei­te erin­nern an das mitt­ler­wei­le umstrit­te­ne Airbnb Kon­zept (vgl. Ber­kes 2016). Auch des­halb blei­ben Anspie­lun­gen auf den posi­ti­ven Wer­te­wan­del und das geän­der­te Kon­sum­ver­hal­ten, dass sha­ring eco­no­my „etwas sozia­les und bedeut­sa­mes“ sei und vor allem eine win-win Situa­ti­on für alle dar­stel­le, nicht aus.

Die Dum­my-Web­sei­te www​.try​my​boy​fri​end​.com
Tim bei sei­ner Arbeit
(© Eri­ka Lust, xconfessions)

Da es sich trotz allem um einen Por­no han­delt, darf das Expli­zi­te nicht feh­len. Nach vier Minu­ten Vor­spann wer­den die vier Freun­din­nen von Tim oral bis zum Höhe­punkt befrie­digt. Dabei ste­hen aus­schließ­lich die weib­li­che Befrie­di­gung und der weib­li­che Kör­per im Vor­der­grund. Der Mann erhält wenig Auf­merk­sam­keit, er bleibt beklei­det und Dienst­leis­ter. Es gibt Groß­auf­nah­men sowohl von den lust­vol­len Gesich­tern als auch von den Geni­ta­li­en der Frau­en auf Tims Gesicht. Aber nur für kur­ze Augen­bli­cke. Es wird mit den Erwar­tun­gen des Publi­kums gespielt, dass jetzt die Aus­schnit­te aus den Rück­blen­den in vol­ler Län­ge kon­su­miert wer­den kön­nen. Die Auf­nah­men erschei­nen wie in einer Farb­spiel-Col­la­ge. Es bleibt wenig Zeit, sich auf die Befrie­di­gung einer ein­zel­nen Frau zu kon­zen­trie­ren. Die Sze­nen wech­seln zwi­schen den vier Prot­ago­nis­tin­nen und ihren zer­ris­se­nen und bun­ten Strumpf­ho­sen, bis alle vier gleich­zei­tig den Höhe­punkt erreichen.

Der Film besticht mit sei­ner Mischung aus Humor und Sex und kre­iert damit eine lust­vol­le Leich­tig­keit und Iro­nie, die sowohl mit fil­mi­schen Zita­ten als auch mit einer intel­lek­tu­el­len Meta­ebe­ne beein­druckt. Bei­spiels­wei­se wird die vier­te Wand gele­gent­lich durch­bro­chen, die Frau­en deu­ten Dia­lo­ge in die Kame­ra an und wer­den dabei von Feli­ci­as Stim­me ver­tont. Tim zwin­kert und grinst in die Kame­ra wäh­rend er sei­ne Leis­tung erbringt. Die Geschich­te ist phan­ta­sie­voll sti­li­siert, sodass es kaum mög­lich ist, die Komik nicht wahr­zu­neh­men. Die Frau­en insze­nie­ren ihre Lust an der Aus­beu­tung eben­so wie Tim sei­ne Fähig­kei­ten als Super­held des Cun­ni­lin­gus. Obwohl hier the­ma­tisch gese­hen, ein Mann für die Frau Sex­ar­beit leis­ten muss, han­delt es sich nicht um femi­nis­ti­schen Revan­chis­mus oder um einen Wider­spruch mit den PorYes-Prin­zi­pi­en. Viel­mehr ver­deut­licht die all­ge­mei­ne Über­spit­zung und Iro­nie in der Dar­stel­lung eine kri­ti­sche Distanz zu den gezeig­ten Ver­hält­nis­sen – sowohl der Geschlech­ter­ver­hält­nis­se als auch der neo­li­be­ra­len Ausbeutungsverhältnisse.

Letz­te Sze­ne: Tim und Miy­u­ki lie­gen erschöpft im Bett, Feli­cia sitzt auf dem Stuhl dane­ben. Sie klatscht und lacht. Die Kame­ra zoomt aus dem Bild und das Film­set mit Lein­wand ist zu sehen. Ver­gnüg­te Stim­men aus dem Off. Klatschen.

Trai­ler zu Try my Boy­fri­end (Lust 2016)

Lite­ra­tur

Ber­kes, Chris­ti­an (Hrsg.) (2016): Wel­co­me to airspace. Boto­Press: Ber­lin 2016.

Bild­nach­weis

Titel­bild von Bla­ke Kathryn.

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Oli­wia Blender

Oli­wia Mar­ta Blen­der ist in Polen gebo­ren und hat über Umwe­ge nach dem zwei­ten Bil­dungs­weg Sla­wis­tik, Thea­ter­wis­sen­schaft, Ver­glei­chen­de Lite­ra­tur- und Kul­tur­wis­sen­schaft in Salz­burg, Kra­kau und Ber­lin stu­diert und abge­schlos­sen. Sie lebt der­zeit durch Zufall in Frei­burg und ver­dient manch­mal Geld mit Dra­ma­tur­gie- und Regie­as­sis­ten­zen am Thea­ter sowie mit Tex­ten. Arbei­tet dar­auf hin, bald einen eige­nen femi­nis­ti­schen Porn zu drehen.

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